Die letzten 12 Monate und die erzwungene Stille

Die kleine Nachtlampe neben mir leuchtet im Dämmerlicht. Um mich herum ist es still. Alles was ich höre ist das leise Summen des Kühlschrankes. Ich tauche ein in meine Gedanken und lasse die letzten Monate Revue passieren. Ich schaue zurück auf ein Jahr welches mich innerlich aufwühlte und trotzdem zur Ruhe kommen ließ. Die Pandemie ist es, welche das schnelle Leben zum Erliegen brachte. Anfangs war es, als ob die Welt um mich herum still stand. Die Straßen waren leer, der Terminkalender ebenso und somit begann ein Jahr welches mich vieles lehrte.
Ein Jahr der Einsamkeit, wie viele es nennen. Ein verlorenes Jahr sagen andere. Ein Jahr voller Ungewissheit, Schrecken, Aufregung, für manche voller Trauer. Stille.


Die Pandemie sorgt in jedem von uns für andere Gefühle wie Angst, Ignoranz, Gleichgültigkeit, Aufruhr, Ärger, Müdigkeit. Als: „ich bin mütend“ wird es mittlerweile bezeichnet.
Niemand hatte damit gerechnet, alles kam mehr oder weniger plötzlich und dann war er ganz nah, der unbekannte Feind welcher die ganze Welt noch immer in Aufruhr versetzt.
Die Stille um mich herum- wie hatte ich sie vor einem Jahr ersehnt. Mittlerweile macht sie mich mürbe. Ich vermisse viele Dinge, die ich zuvor als selbstverständlich sah:
Die Nähe zu meiner Familie und meinen Freunden, Umarmungen, Ausgehen, Reisen, spontane Einkäufe… all das ist nicht mehr die Normalität, all das, was vor gar nicht so langer Zeit noch Alltag war. Ich habe diese Dinge gelebt, genossen und genutzt um mich und meine Seele zu füttern. Und plötzlich, gehören diese zu ganz besonderen Momenten.

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Der Alltag und die Normalität

Es war „normal“ meine Familie zu sehen, sich zu umarmen, zu kuscheln.
Es war „normal“ mit Freunden auszugehen und Nächte lang zu tanzen oder bei einem Bier zu quatschen.
Es war „normal“ die alltäglichen Dinge ungezwungen zu besorgen und zu erledigen.
Es war „normal“ das alles als normal anzusehen.
Stille- der Kühlschrank summt weiter und ich frage mich ob ich für dieses „Normal“ jemals dankbar genug gewesen bin.

Mein Blick schweift durch das Zimmer, ein Zimmer welches ich seit einem Jahr mehr sehe als mir lieb ist- im Homeoffice, an Freitag- und Samstagabenden.
Ja anfangs, anfangs genoss ich diese Stille, das Herunterfahren vom ständigen unterwegs sein. Die aufgedrängte Me time, die Fernsehabende… aber jetzt, jetzt wünschte ich es zurück, das Leben wie es einmal war.
Ohne zu hinterfragen welche Entscheidungen in dieser Pandemie richtig oder falsch sind und waren.
Es ist an der Zeit für einen Weg diesen unbekannten Feind zu schlagen und zurück zu kehren zu den „normalen“ Dingen.
Die normalen Dinge für die ich unbewusst nicht mehr Dankbar genug gewesen bin, sondern sie hinnahm als gegeben, als Alltag, als allgegenwärtig.

Ein kurzer Blick in das gedimmte Licht, zurück auf meine Zeilen, ein Blinzeln und die Frage was ich mir gerade am meisten wünsche. Etwas, was vor nicht allzu langer Zeit zum Alltag gehörte: Einen Tag mit meiner Familie voller Ungezwungenheit und Nähe. Eine ungezwungene Nacht mit meinen Freunden voller Lachen und Musik.
Ein Abendessen in einem Restaurant mit meinen Liebsten ohne Abstand zum Nachbarn.

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Werde ich noch dankbarer sein?

Werde ich diese Momente, Tage, Nächte in den nächsten Jahren genauso hinnehmen wie zuvor? Werde ich mich irgendwann wieder an einen Alltag gewöhnen und Momente nicht mehr so intensiv zu hinterfragen wie ich jetzt gerade mache?
Dankbar bin ich schon immer gewesen, für vieles in meinem Leben. Es gehört für mich dazu mich zu bedanken und mich an jedem Tag zu freuen, dass es mir gut geht.

Doch darf ich auch sagen, dass mich das letzte Jahr noch viel mehr gelehrt hat diese Dankbarkeit zu „leben“, das Selbstverständlich nicht als selbstverständlich zu nehmen sondern als ein Geschenk des Lebens.
Ich sehe kurz zu Boden, überlege ob ich die richtigen Worte finde meine Gefühl zu beschreiben.
Mich lehrte das letzte Jahr wie sehr ich Umarmungen, Menschen und Momente vermissen kann. Wie schwer es mir fällt anderen nicht nah zu sein. Wie weh es tat meine Familie über Wochen lang nicht zu umarmen. Wie sehr ich das Tanzen vermisse. Wie sehr ich mich nach einem Abend mit Freunden sehne.

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Der unsichtbare Feind hat viel verändert, uns verändert, Leiden gebracht, Veränderungen, Neues, Ruhe, Stille, manchmal eine unerträgliche Stille. Aber er hat mich auch neu gelehrt, dass der Alltag nicht selbstverständlich ist, dass man von Erinnerungen zehren kann und das eine Vorfreude auf ein klein bisschen Normalität besonders schön sein kann.

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38 thoughts on “Die letzten 12 Monate und die erzwungene Stille

  1. Danke dir =)

    Ein wirklich schöner Post =) Schon krass, dass wir quasi schon seit 14 Monaten ein anderes Leben als zuvor führen. Ich war auch schon immer dankbar für die kleinen Dinge im Leben, aber durch Corona merkt man das nochmal mehr.
    Liebe Grüße

      1. Also ich schätze die kleinen Dinge schon, aber eben anders als vorher. Jetzt hat man sie halt nicht mal und das schmerzt 😀

        Ohja super viele Leckereien =)
        Liebe Grüße

  2. Danke, dass Du diese Gedanken mit uns teilst. Als verloren sehe ich das letzte Jahr keinesfalls. Bei sind auch wirklich schöne Dinge passiert. Mürbe bin ich auch. Aber ich weiß auch, was ich vom alten Leben nicht mehr zurück haben will und was ich mir aus der aktuellen Zeit bewahren möchte.

  3. Ein wirklich berührender und ehrlicher Post, danke dafür. Aber es scheint ja ein Licht am Ende des Tunnels zu geben und wir müssen einfach weiter positiv denken und stärker werden 🙂
    Liebe Grüße
    Sylvia

  4. Liebe Jenny,
    Sehr emotionale Worte hast du gefunden. Ich kann nicht sagen, dass ich mürbe bin. Müde ob all derer, denen es nicht schnell genug geht, die sich immer noch nicht an die Regeln halten (wollen), die alles besser können und doch nichts besser wissen.
    Und ja, ich vermisse auch vieles, mal mehr mal weniger. Aber es war keinesfalls ein verlorenes Jahr, mich hat es viel gelehrt, Demut und Dankbarkeit. Noch mehr Mitgefühl. Dass eben Selbstverständliches nicht selbstverständlich ist. Wie fragil unser System sein kann. Was Solidarität und Anstand bedeuten (ich wusste es vorher, bei einigen hat es mich überrascht). Dass ich gar nicht alles zurückhaben möchte. Dass es uns trotz allem und aller Fehler gut geht…
    Ich mochte deine Worte. Aber es war kein verlorenes Jahr. Es war ein anders gelebtes, aber intensives Jahr.
    Liebe Grüße
    Nicole

    1. Hey,
      ja diese Müdigkeit in deinen genannten Punkten verspüre ich auch!
      Das verlorene Jahr, so nennen es einige, ich zähle mich nicht dazu- wie du ja liest und ich freue mich, dass du dich auch nicht dazu zählst :).
      Liebe Grüße zurück!

  5. Der unsichtbare Feind ist total passend ! Wütend bin ich die letzten Tage über Menschen mit denen ich täglich zusammen bin bzw sein muss .Die mir ihre Meinung dort aufzwingen wollen und ich mich dagegen wehre .Wir haben viel erlebt trauriges schönes unser Haus .Es war ein sehr intensives Jahr .
    Liebe Grüße Margit

  6. Die Zeit wird langsam lang. Ich bin eigentlich nur müde. Zwischendurch mal wütend. Nicht einmal der Urlaub bringt richtige Erholung. Es geht wohl fast allen so nach dieser langen Zeit. Und ich hoffe, dass diese Ungezwungenheit bald wiederkommt. Du hast es schön formuliert.

    Liebe Grüße Sabine

  7. Liebe Jenny,
    Dein Beitrag hat mich sehr berührt, denn genauso fühle ich auch. Ich traf heute beim Verlassen des Supermarktes eine Freundin, die weit entfernt wohnt und die wir morgen (draußen, mit Abstand und Maske) wiedersehen werden, weil sie gerade in der Gegend ist mit ihrem Mann. Kurz waren wir versucht, uns zu umarmen, dann siegte die C-Vernunft (obwohl sie als KIta-Angesteltte bereits zweimal geimpft ist) und wir haben uns nur an der Schulter berührt. Mir fehlt Nähe zu unseren Freunden, nur immer mit meinem Mann ist auf Dauer echt zu wenig. Ich habe im November mein Team gewechselt und ganz tolle neue Kollegen bekommen, aber wir durften uns seit dieser neuen Konstellation noch nie alle zusammen sehen. Immer nur Viko. Nun planen wir Zusammenkünfte für die Zeit danach, weil uns allen etwas fehlt…
    Ganz liebe Grüße und 1000 Dank für diesen tollen Beitrag
    Karen

    1. Liebe Karen,
      sehr gerne!
      Ja die Nähe fehlt! Ich kenne das sehr gut und ich freue mich sehr, dass du eine alte Freundin wieder sehen darfst.
      Geniess es!
      Liebe Sonntagsgrüße!

  8. Liebe Jenny, was für ein wunderbarer Beitrag – du hast ganz so schön die Gefühle, die Überlegungen des letzten Jahres eingefangen und toll aufbereitet. Ich konnte in vielen Punkten absolut mitfühlen – denn das Schlimmste in dieser Zeit war für uns, dass wir nun seit fast 1,5 Jahren keinen persönlichen Kontakt zu unserem Familienmitglied in Japan haben und bis jetzt noch nicht klar ist, wie lange dies noch dauert oder ab wann wieder die Möglichkeit zu einem Reisen zwischen Österreich und Japan gegeben ist. Diese Ungewissheit und Unsicherheit ist eigentlich das einzig Zermürbende an der Situation. Natürlich kann kein Endedatum definiert werden oder geplant werden – gibt es eventuell im Sommer schon eine Möglichkeit, vielleicht erst zu Weihnachten oder überhaupt erst im nächsten Jahr. Ansonsten habe ich mich nicht so sehr eingeschränkt gefühlt, wie es von anderen immer wieder vermittelt worden.
    Hab ein wunderbares Pfingstwochenende und alles Liebe Gesa

    1. Liebe Gesa,
      danke schön! Ja die Unsicherheit und der Abstand ist zermürbend- man lebt ja quasi von einem Tag auf den Nächsten immer mit der Hoffnung, dass es nur besser werden kann.
      Eingeschränkt- doch im Sinne meiner Familie und Freunden schon- es ist schwer den Abstand zu halten, aber ich weiss, dass es besser werden wird :).
      Liebe Grüße an dich!

  9. Sehr schöner Beitrag. Auch ich habe gemischte Gefühle. Es ist nicht so, dass ich unbedingt auf eine Party, Konzert oder in ein Restaurant muss, aber der Gedanke, dass man es jede Zeit machen dürfte, wäre befreiender. Was mir fehlt, ist der normale Ablauf ohne sich jeden Tag zu fragen, wie und wo, ich was darf, eben die Normalität. Liebe Grüße!

  10. Für mich ist es tatsächlich ein verlorenes Jahr… so viele Pläne sind ins Wasser gefallen und auch weiterhin ungewiss. Aber sobald wieder mehr Normalität einkehrt, wird man sicherlich jede Kleinigkeit, sei es nur einen Kaffee trinken zu gehen, auf jeden Fall zu schätzen wissen.


    Selly

    1. Hey Selly,
      ja das sagen wirklich viele. Aber ich glaube dir, dass du gerade jetzt, wo alles langsam in eine gute Richtung geht, du es doppelt so sehr geniessen wirst.
      Liebe Grüße!

  11. Liebe Jenny,

    das hast du wirklich wunderbar in Worte gefasst. Mir fehlt das unbekümmerte Beisammensein mit der Familie und Freunden auch sehr. Und ich bin so froh, wenn ich meine Liebsten wieder alle sehen und umarmen kann. Es wir Zeit!

    Liebste Grüße,
    Elisa

  12. Hi Jenny, danke für die offenen Worte…
    Mir kamen die Monate gar nicht so lang vor… War zwischendurch selber fast 4 Monate daheim (Sprunggelenksbruch) u jetzt, wo ich wieder raus könnte (und bereits 2fach geimpft bin), ducke ich mich weiter weg u genieße das Leben daheim 🙂
    Bin sicher, alles wird gut!
    Drück Dich!
    Liebe Grüße
    Ilka 🙂

    1. Hey Ilka,
      ich freue mich, dass du die Zeit so gut rumbekommen hast. Für mich war es ein lehrreiches Jahr- verloren keinesfalls, auch wenn ich viel vermisste.
      Ich drücke dich zurück!

      1. Ja, ich vermisse auch so viel! Habe heute einen Termin für meine neue Sonnenbrille gemacht u freu mich richtig! Im November 20 wollte ich sie schon haben u dann kam alles anders 🙁 Fühl Dich auch gedrückt und liebe Grüße

  13. Liebe Jenny,
    einerseits vermisse ich auch mein altes Leben, obwohl es nicht so angefüllt war, dass mich die ganzen Beschränkungen wirklich hart getroffen hätten. Hier auf dem Land gehen die Uhren doch ein wenig anders. Das habe ich in diesem Jahr gemerkt.
    Andererseits ist aber auch soviel passiert in meinem Leben, dass ich die Pandemie gar nicht so richtig mitbekommen habe, ich hatte sehr viel mehr zu tun und hatte keine Ruhe.
    Dennoch bin ich froh, wenn das Alles jetzt bald vorbei ist.
    Ich wünsche Dir noch eine schöne Woche.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

    1. Hey Wolfgang,
      danke für deinen Beitrag!
      Ich glaube zu gut, dass es auf dem Land etwas anders zugeht- vielleicht hier und da im Gesamten auch etwas ruhiger. Es ist auch schön, dass du nicht allzu viel von der Pandemie mitbekommen hast.
      Hoffen wir auf eine schnelle und gute Besserung der Lage :)!
      Liebe Grüße!

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