Die Magie der Märchenbücher: Zwischen knisterndem Papier und digitalem Konsum

Manchmal sind es die unscheinbaren Momente, die eine Lawine an Erinnerungen in Gang setzen. Vor ein paar Tagen passierte genau das. Ich kramte im Keller, öffnete einen alten Schrank und zack, fiel mir ein fast vergessener Band Märchenbücher der Gebrüder Grimm in die Hände. Der Geruch nach altem Papier stieg mir in die Nase – und sofort waren sie wieder da: die wohligen Gefühle und wunderschönen Bilder meiner Kindheit.

Mein kleines allabendliches Ritual als Kind

Noch bevor ich selbst die Buchstaben auf diesen zauberhaften Seiten entziffern konnte, war das Vorlesen ein beinahe heiliges Ritual. Kennt ihr das auch? Umziehen, waschen, Zähneputzen – das Pflichtprogramm, das nur einen einzigen, grandiosen Lohn versprach: Ab ins Bett und die Wahl zwischen Hans Christian Andersen oder den Grimm.
Als Kind war man natürlich schlau und suchte sich die längsten Geschichten aus, um das Licht so lange wie möglich brennen zu lassen. Egal, dass ich manche fast auswendig konnte – es war die sanfte, beruhigende Stimme meiner Eltern, das perfekte Betonen, die unterschwellige Spannung, die jedes Mal einzigartig war.

Grimms Märchen lesen

Das Wohlgefühl des Vorlesens

Eingekuschelt, zugedeckt, das kleine Nachtlicht, das Schatten an die Decke malte – herrlich. Wenn Mama oder Papa sich dann noch neben mich setzten, das Buch mit seinem ganz besonderen, leicht muffigen Geruch aufschlugen und die Reise begann… ein leichtes Streicheln über die Haare, eine Umarmung. So vertraut, so geborgen. Ab und an gab es die Vorlesestunde auch auf der Couch, mit einem warmen Kakao dazu. Ein Gefühl, das man nie vergisst.

Die Sprache der Fantasie

Erinnert ihr euch an die ganz besondere Sprache der Märchen? Es war nicht unser alltäglicher Tonfall, es waren Sätze, die veraltet klangen, aber genau das machte es so aufregend. Es war eine Tür in eine andere Welt, die durch die Wortwahl noch mystischer und interessanter wurde.
Als ich dann selbst die ersten Worte lesen und schreiben lernte, war das ein Highlight. Endlich konnte ich mir die Märchenbücher selbst schnappen. Wie oft ich nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lag, jedes Wort aufsaugte, das Herzklopfen spürte, wenn es gruselig wurde. Ich war so gefesselt! Manchmal war die Versuchung groß, einfach die letzte Seite zu lesen – aber ich tat es nie, weil ich wusste, dass es die Spannung nehmen würde.

Märchenbücher
Mehr als nur Geschichten: Bildung fürs Leben

Meine Großmutter sagte immer, Lesen bildet. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in Grammatik, Rechtschreibung und Ausdruck. Sie erzählte, dass sie als Kind sogar im Duden gelesen hatte – einfach, um zu lernen und oder, weil sie keine anderen Bücher hatte.
Vielleicht kennt ihr auch noch die altdeutsche Schrift? Meine Mutter schwärmte von ihren Hanni und Nanni-Schätzen in dieser Schrift. Ich wollte sie unbedingt lesen können – also lernte ich es. Ich war unheimlich stolz, als diese neue Welt der Buchstaben sich mir erschloss.
All diese Geschichten ließen mich tief in das Reich der Fantasie eintauchen. Ich sah die prächtigen Schlösser, die Prinzessinnen, Prinzen und die dunklen Wälder, die wunderschöne Natur vor meinem inneren Auge. Ich erfand eigene Geschichten, die ich damals noch alle auf Papier niederschrieb und sammelte. Eine wurde sogar in einer Kinderfernsehsendung vorgelesen.

Brumkreise
Die Magie weitergeben

Als ich Tante wurde, war es mir eine Herzensangelegenheit, diese Magie weiterzugeben. Wenn ich meine Nichte und meinen Neffen ins Bett bringen durfte, schnappte ich mir ein Buch, kuschelte mich neben sie und las. Die Spannung in ihren Augen war genau die gleiche wie damals bei mir. Manchmal dichtete ich kleine selbst ausgedachte Fantasien dazu, um es noch besonderer zu machen. Auch wenn sie heute selbst lesen, genieße ich die wenigen Momente, in denen ich noch vorlesen darf.

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Digitaler Konsum vs. Nähe: Wo bleibt das Lese-Ritual?

Heute geht der Trend oft zu digitalen Medien. Kinder liegen im Bett, daneben das Smartphone, und die Märchen werden auf Knopfdruck vorgelesen. Hörbücher sind im Trend. Keine Taschenlampe mehr, kein Blättern der nostalgisch duftenden Seiten. Und, das ist der Punkt, der mir wehtut: Man braucht keine Mama, keinen Papa, keine Oma oder Opa mehr, die daneben sitzen.
Was auf der Strecke bleibt, ist nicht nur die Nähe und das Ankuscheln, die kleinen Fragen zur Geschichte, sondern auch der Lerneffekt. Was meine Oma wusste: Lesen bildet. Das fehlerlose Schreiben, das formulieren von Sätzen, der Ausdruck – all das habe ich durch Bücher gelernt. Bei Hörbüchern fällt dieser wertvolle Lernprozess weg. Kein Wunder, dass es vielen Kindern heute schwerfällt, eigene Texte zu Papier zu bringen.
Und mal ehrlich: Wie stellt man einem Hörbuch eine Frage?
Ich weiß, vielen Eltern und Großeltern fehlt heute die Zeit. Das Leben ist schnelllebiger, das Angebot an Medien überwältigend. Es ist leicht, auf Knopfdruck zur nächsten Geschichte zu springen – Konsum statt Ritual. Das abendliche Vorlesen, das Stöbern in Büchereien, der Geruch von gedrucktem Papier… all das gerät in den Hintergrund.
Aber ich möchte betonen: Es ist nicht überall so! Auch heute gibt es noch Familien, die bewusst zum Buch greifen und ihre Kinder zum Lesen ermutigen.

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Der Fund im Regal

Der Bücherband der Grimms, den ich zu Anfang meines Beitrages erwähnte, war der Auslöser für all diese niedergeschriebenen Gedanken. Der Band hat nun einen festen Platz in meinem doch recht abgespeckten Regal gefunden. Und wer weiß – vielleicht werde ich eines Tages den Kindern meiner Nichte und meines Neffen daraus vorlesen. Und die Magie wird von Neuem beginnen.

Wie seht ihr das? Was verbindet ihr mit den Märchen eurer Kindheit? Ich freue mich auf eure Gedanken in den Kommentaren!

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2 thoughts on “Die Magie der Märchenbücher: Zwischen knisterndem Papier und digitalem Konsum

  1. Ich lese meinen Nichten und Neffen auch noch vor. Märchen allerdings nicht, die scheinen ja auch heute irgendwie verpönt zu sein, weil sie so grausam sind….Meine Nichten bringen mir einfach ihr Buch, das sie vorgelesen haben möchten und dann lese ich das eben. Oft auch 2-3 mal hintereinander.
    Ich selbst lese bis heute noch unheimlich gerne und tauche immer noch ab.
    LG, Rahel

  2. Schön, dass du die alten Schätze wiederentdeckt hast. Kleinen Kindern vorlesen finde ich immer noch ein feines Ritual. Meine Enkelkinder lieben das.

    Liebe Grüße
    Sabine

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